Kindern und Jugendlichen Hoffnung schenken
Dunkle Wolken hängen über der Don Boscostrasse in Beromünster, während Pater Toni Rogger (75) ein Interview zur Hilfe und Zukunft für die Jugend von heute gibt. Sinnbildlich erscheint die Grosswetterlage wie die multiplen Krisenzeiten, welche aktuell unsere Welt regieren. Ein starker Kontrast dazu ist das beruhigende Lächeln des Schweizer Ordensmannes, der sein Leben seit mehr als 50 Jahren in den Dienst für benachteiligte Jugendliche stellt.
Interview von Gabriel Müller mit Pater Toni Rogger von den Salesianern Don Boscos in Beromünster.
GM Sie kommen gerade von einem Jugendhilfsprojekt in Tansania. Was können wir von Afrika lernen?
TR Ganz einfach: Lebensfreude. Diese drückt sich in Afrika vielseitig aus. Ich war vor kurzem in einem Hilfsprojekt der Salesianer Don Boscos in der tansanischen Hauptstadt Dodoma. Eine kleine Gruppe von sieben Kindern hat mich als Babu (Grossvater) angesprochen und mich hilfsbereit mehr als eine Stunde herumgeführt. Unter diesen Kindern war auch ein muslimisches Mädchen mit Kopftuch. Sie alle haben sich sehr über mein aufmerksames Interesse gefreut. Es hat sie stolz gemacht, mir ihren Spielplatz und den Obstgarten mit verschiedenen Bäumen und Früchten vorzustellen. Am nächsten Tag hatten wir einen Gottesdienst um 06:30 Uhr in der Früh. Die Kirche war voll bis auf den letzten Platz mit jungen Menschen. Sie haben gesungen, geklatscht und getanzt, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe. Ein unbändiger Ausdruck purer Lebensfreude.
GM Sie sind seit 1997 Geschäftsleiter der Don Bosco Jugendhilfe Weltweit. Gab es in dieser Zeit jemals multiple Krisen wie heute?
TR Was sind multiple Krisen? Die Definition wird je nach sozialem und geographischem Blickwinkel unterschiedlich ausfallen. Aber ja, heute ist es schon besonders schlimm, mit zwei Kriegen in so unmittelbarer Nähe. Dazu ein Flüchtlingselend, das seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie so gross war. Und dazu noch das existentielle Hungerproblem in Afrika und anderen Teilen der Welt.
GM Was verursachen Krisenzeiten wie heute bei jungen Menschen, in der Schweiz und weltweit?
TR Krisen wie heute lösen grosse Verunsicherung und existentielle Ängste aus. Junge Menschen fragen sich: «Wohin geht die Welt? Habe ich noch eine Zukunft?» Und wenn sie hierauf keine positive Antwort finden, dann fliehen sie verzweifelt in sich selbst. Es erhöht die Anfälligkeit für unterschiedliche Suchtmittel, die zumindest zeitweise Beruhigung bringen sollen. Es schrumpft dann die Bereitschaft, am öffentlichen Leben mitzuarbeiten und sich positiv einzubringen. Es fehlt den Jugendlichen dann die Hoffnung und der Optimismus, welche das Leben erst lebenswert machen. Und genau das wollen wir Salesianer Don Boscos der Jugend von heute weitergeben: Zuversicht und Lebensfreude.
GM Glauben Sie noch an das Gute in der Welt?
TR Ja. Sonst wäre ich fehl am Platz. Das beschreibt auch typisch Don Bosco: Gerade in schwierigen Zeiten den Optimismus zu bewahren, der aus einem tiefen inneren Glauben heraus wächst. Der Glaube, dass Gott es gut mit uns meint. Was können wir tun, um dem Guten zu dienen? Am wichtigsten ist es, den Mitmenschen so zu sehen, wie er ist. Und ihn zu stärken, sich für den Nächsten einzusetzen. Das kann ganz einfach geschehen, indem ich ihm zuhöre, verstehe, ganz konkret in verschiedenen kleinen Dingen helfe und Mut mache.
GM Haben Sie jemals ans Aufgeben gedacht?
TR Nein, niemals. Ich sehe, dass ich eine wichtige Aufgabe tun darf, für die Jugend und die Kirche in der ganzen Welt. Und damit auch für die Gesellschaft. Wenn ich auf Reisen bin, erlebe ich grosse Dankbarkeit dafür, was durch unsere Arbeit und mit den Spenden vieler Gönnerinnen und Gönner erreicht werden kann. Das gibt mir Kraft.
GM Was war für Sie die eindrücklichste Begegnung in all den Jahren Ihres Wirkens?
TR Es war mir immer wichtig, unsere verantworteten Hilfsprojekte persönlich zu kennen, ihnen auch vor Ort zur Seite zu stehen. Auch um unseren Spenderinnen und Spendern unmittelbar berichten zu können, was mit ihrer Unterstützung geschieht. Aber auch um die persönliche Betroffenheit teilen zu können. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Begegnung mit einer jungen Frau namens Rosangela in Salvador de Bahia in Brasilien. Auf meinem Spaziergang durch die Altstadt sprach sie mich an und wich nicht von meiner Seite. Sie bot mir immer wieder ihre Dienste an, bis ich ihr sehr deutlich erklärte, dass ich Priester sei und keinerlei Interesse an einem sexuellen Abenteuer hätte. Als sie sagte, sie habe grossen Hunger, lud ich sie zum Essen ein. Wie sie mir von ihrem Leben erzählte, sah ich Tränen in ihren Augen. «Weisst du», sagte sie, «ich mache diese Arbeit nicht gern. Es ist erniedrigend, sich von Männern ausnützen zu lassen. Aber es ist meine Art, überleben zu können.» Heute haben wir in diversen Hilfsprojekten Resozialisierungs- und Therapieprogramme für sexuell ausgebeutete und missbrauchte Mädchen und junge Frauen, um ihnen Wege in eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
GM Warum haben Sie die Stiftung Don Bosco für die Jugend der Welt gegründet?
TR Die Stiftungsgründung kam aus der Erkenntnis, dass unsere Gönnerinnen und Gönner zunehmend älter werden, ins Altersheim gehen, nicht mehr spenden können und sterben. Die Spendenkultur junger Menschen ist gänzlich anders, als wir sie über Jahrzehnte gewohnt waren. Die Stiftung dient dem Zweck, die wichtige Arbeit für die benachteiligte Jugend in der Welt nachhaltig zu ermöglichen.
GM Sind Spenden heute noch zeitgemäss?
TR Jede Spende hilft, ein Stück Elend zu beseitigen. So gesehen sind Spenden zeitgemäss und wichtig.
GM Macht Spenden glücklich?
TR Ja, denn wenn ich spende, löse ich mich ein Stück weit von mir selbst. Und teile mit Menschen, die darauf angewiesen sind. Das bewirkt eine innere Freude.
GM Was ist für Sie ein gutes Testament?
TR Es gibt viele Menschen, die sich im Leben fragen: «Was mache ich mit dem, was ich mir erarbeitet habe?» An dem Punkt ist es gut, den letzten Willen handschriftlich auf Papier zu bringen und diejenigen Menschen zu bedenken, die einem wichtig sind. Das können Kinder oder andere Angehörige sein. Aber darüber hinaus ist es auch möglich, Kinder und Jugendliche ausserhalb des eigenen Familienkreises, z.B. in Armutsgebieten zu bedenken, damit sie eine Zukunft bekommen.
GM Was ist die wichtigste Aufgabe der katholischen Kirche in der Welt von heute?
TR Die wichtigste Aufgabe war und ist es, das Evangelium wirklich als frohe Botschaft zu verkünden, damit es den Menschen Hoffnung schenkt – und Freude am Leben. Das geschieht in der Kirche vielfältig durch ihre sozialen Werke, die sich in den Dienst des Nächsten stellen.
GM Welchen Beitrag leisten Ihre Salesianer Don Boscos?
TR Unser Schwerpunkt ist die Arbeit mit der Jugend, insbesondere für die ärmere Jugend auf unserer Welt. Es geht darum, junge Menschen, die ausgegrenzt sind und keine Chancen im Leben haben, aufzufangen und ihnen Lebensperspektiven zu eröffnen. Das geschieht durch Sozialarbeit auf der Strasse, Schul- und Berufsbildung bis hin zur Universität. Vor allem aber durch personale, kreative, kulturelle und religiöse Bildung.
GM Hat Ihre Ordensgemeinschaft Zukunft?
TR Ja, wir haben Zukunft, solange es benachteiligte Jugendliche auf unserer Welt gibt. Gerade in Entwicklungsländern ist der Zulauf zu unserer Ordensgemeinschaft sehr gross. Weil dort auch die Aufgabenstellung am grössten ist.
GM Was wünschen Sie sich dieses Jahr zu Weihnachten?
TR Frieden. Die aktuellen Kriege in der Ukraine und Palästina bedrücken mich. Erst recht, weil die frohe Botschaft in Palästina ihren Anfang genommen hat: im Stall von Bethlehem. Dass dieses Evangelium – Frieden auf der ganzen Erde – derart mit den Füssen getreten wird, schmerzt mich sehr. Ich wünsche mir, dass die weihnachtliche Friedensbotschaft Wirklichkeit wird. Dazu gehört auch, dass wir hier in der Schweiz Offenheit zeigen gegenüber Geflüchteten, die bei uns Schutz und Hilfe suchen.
GM Was bedeuten für Sie Glaube, Liebe und Hoffnung?
TR Das sind die drei Elemente, auf die ich mein Leben aufzubauen versuche. Sie geben mir Kraft und Halt für mein Leben und weisen mich in eine Richtung, die von Gott kommt und mich zu ihm führt.
GM Gibt es ein Herzensprojekt für Sie, das Sie noch gerne umsetzen wollen?
TR (Lächelt.) Das Hilfsprojekt «Don Bosco Fambul» in Sierra Leone liegt mir besonders am Herzen. Hier werden junge Mädchen von der Strasse geholt, die sich bereits als Kinder in der Prostitution verdingen müssen, damit ihre Familien und sie selbst genug zu essen haben. Diese Kinder brauchen dringend therapeutische und medizinische Hilfe, damit sie auf der Strasse nicht elend zugrunde gehen. Nach der Akuthilfe erhalten sie später auch Bildung und wo immer möglich eine Zusammenführung mit ihren Familien. Eine Unterstützung für dieses Mädchenschutzhaus wäre ein wunderbares Weihnachtsgeschenk.
Spendenkonto Postfinance: Vereinigung Don Bosco Werk – Jugendhilfe Weltweit CH06 0900 0000 6002 8900 0 www.donbosco.ch <http://www.donbosco.ch> Honorarfreie Verwendung von Text und Fotos bei Nennung «Gabriel Müller» im Credit. **Infokasten-Text** Don Bosco Jugendhilfe Weltweit
Die Gemeinschaft der Salesianer Don Boscos wurde 1859 von Giovanni Bosco in Turin gegründet. Dort bekämpfte er erfolgreich die Not der benachteiligten und ausgegrenzten Jugendlichen. Das Anliegen Don Boscos, die jungen Menschen ernst zu nehmen, ihre Nöte und Bedürfnisse zu sehen, ihnen eine Stimme zu geben und die Möglichkeit, ihr Leben selbst zu gestalten, ist auch heute wichtig – überall auf der Welt. Die Don Bosco Jugendhilfe Weltweit ist Teil des weltweiten Netzwerks der Salesianer Don Boscos und unterstützt die Arbeit der Salesianer zugunsten benachteiligter und bedürftiger Kinder, Jugendlicher und Familien, unabhängig von Herkunft, Religion oder Geschlecht. Aktuell sind rund 14 100 Ordensangehörige und mehr als 400 000 Fachkräfte und Freiwillige in 134 Ländern tätig.